Albumcover "Feuerkäfer"
16.08.2024


Randale: „Feuerkäfer“



Hände hoch, Punküberfall!



Es ist ein wiederkehrendes Phänomen: Viele Menschen, die sich zum ersten Mal mit Kindermusik beschäftigen, kommen voreilig zu der Einschätzung, dass es sich dabei um eine vergleichsweise junge musikalische Gattung handelt. Das ist jedoch eine trügerische Fehleinschätzung! Man muss sich nur vor Augen führen, dass so mancher Evergreen von Fredrik Vahle oder Rolf Zuckowski bereits in den 70er-Jahren veröffentlicht wurde. Auch die Wurzeln des Kinderdisco-Sounds von Volker Rosin, der Schlagerkompositionen von Detlef Jöcker oder der Lieder des ostdeutschen Kindermusikers Gerhard Schöne reichen bis weit in die 80er-Jahre zurück. Im Schatten dieser vergleichsweisen prominenten Protagonisten haben viele weitere Bands und Künstler*innen das Feld der Kindermusik fortlaufend beackert und bereichert. Zu ihnen zählt auch die Bielefelder Band Randale, die dieser Tage stolz auf immerhin 20 Jahre Bandgeschichte zurückschauen kann und dieses Jubiläum mit ihrer brandneuen Platte „Feuerkäfer“ zelebriert.

Den Albumtitel dürfen wir als klares Stilbekenntnis verstehen, daran lässt der gleichnamige Titelsong „Feuerkäfer“ keinerlei Zweifel aufkommen. (»Glühwürmchen sind wir nicht, das verneinen wir ganz barsch / Glühwürmchen leuchten nur ganz hinten an ihrem Glühwürmchen...aaahhh!«) Wild und ungestüm ist dieses Lied, voller Rock’n’Roll-Bezüge. Ganz anders, als es unbedarfte Zuhörer*innen von Kindermusik erwarten würden. Das Gebot der ersten Stunde hat also nach wie vor Gültigkeit, denn dem lieblich klingenden Kinderlied haben Randale von Anfang an den Kampf angesagt. Entschlossen wurde im Jahr 2004 die E-Gitarre ausgepackt, der Verstärker aufgedreht und fortan dem Sound von The Ramones oder Die Ärzte nachgeeifert. Der Legende nach geht die Gründunggeschichte der Band auf die musikalischen Vorlieben der damals dreijährigen Tochter von Frontmann Jochen Vahle zurück. Da diese keinen Zugang zu gängigen Kinderliedern fand, dafür aber umso begeisterter von der Plattensammlung ihres Vaters war, zog dieser kurzerhand die richtigen Schlüsse. Anstatt einen weiten Bogen um Kindermusik zu machen, schloss er gemeinsam mit seinen drei Mitstreitern Marc Jürgen (Gitarre), Christian Keller (Bass) und Garrelt Riepelmeier (Schlagzeug) voller Tatendrang die offensichtliche musikkulturelle Lücke. Punkrock für Kinder war geboren.

20 Jahre später liegt nun also „Feuerkäfer“ in der Auslage. Stilistisch decken die vierzehn Songs des neuen Albums den gewohnten Randale-Genremix ab, der von Punkrock über Metal und Country bis hin zu Reggae-Rhythmen reicht. Inhaltlich wechseln sich geistreicher und manchmal plumper Humor, sowie ernste und stärkende Botschaften beständig ab. Wenn Sänger Jochen Vahle im Opener „Hände hoch“ zum Beispiel lautstark »Hände hoch, das ist ein Punküberfall« skandiert, dann kann man von einem durchaus gelungenen Wortspiel sprechen. Als musikalische Hommage an die australische Hard Rock-Band AC/DC und gleichzeitiges Plädoyer gegen frühkindlichen Leistungsdruck funktioniert auch „HASI/DC“ ganz prächtig – auch wenn der Song gar nicht Kinder, sondern deren Eltern adressiert. (»Gebt den Kindern HASI/DC, Stromgitarren, Rock’n’Roll / es ist für sie das Paradisi, entwickeln sich ganz wundervoll.«) Klar, Kindermusik will nunmal meistens die ganze Familie ansprechen. Bemüht fällt dagegen das sicher mit besten Absichten getextete Lied „Solidarität“ aus. (»Als wir dachten, dass gar nichts mehr geht, kam die Solidarität. (...) Dieses Gefühl war so gut und wir hatten wieder Mut.«) Haltung und Hookline finden hier nicht ganz formvollendet zueinander. Wenn dann noch ein Song wie „ABC Alarm“ folgt, wähnt man sich kurzzeitig im falschen Film. Einfach zu verzerrten Gitarrenriffs das ABC durchbuchstabieren, echt jetzt? Derartige Songs wissen wohl nur diejenigen zu honorieren, die Kindermusik nicht mit pädagogischem Eifer überfrachten – so wie es auch die Band selbst tut. Der Pressetext zum Album klärt auf: „Randale wollten unbedingt mal ein richtiges Lied für die Sesamstraße aufnehmen. Natürlich über das ABC. Schön schräg und ein bisschen bescheuert.“ Diese selbstironische Haltung wirkt irgendwie sympathisch und kennzeichnet seit jeher den Charakter wie eben auch das musikalische Schaffen der Band. So ergibt der „Feuerkäfer“ schlussendlich doch ein stimmiges Gesamtkunstwerk in unverkennbarer Randale-Handschrift.

Fazit: Vor der Leidenschaft, dem Stehvermögen und der Glaubwürdigkeit von Randale kann man nur anerkennend den Hut ziehen. Als diese Band 2004 selbstbewusst Punkrock-Einflüsse im Kinderlied unterbrachte, stand sie mit diesem musikalischen Ansatz noch ziemlich allein auf weiter Flur. Flankiert von diversen anderen Rockbands, gestandenen Singer-Songwritern und lässig auftrumpfenden HipHop-Acts für Kinder erscheint diese Leistung heute nur noch halb so innovativ, doch der Weg bis ins Jahr 2024 war lang und mitunter steinig. Dennoch sind Randale ihn unbeirrt gegangen. Die Erfahrungen aus dieser langen Zeit bündelt der aufwändig gestaltete Jubiläums-Bildband „Das konnte ja keiner ahnen!“, der auf über 250 großformatigen Seiten nicht nur die Bandgeschichte erzählt, sondern kleinen und großen Leser*innen auch viel Wissenswertes über die Arbeit im Studio und im Proberaum sowie über das Tourleben und die Musiker selbst vermittelt. Ergänzend zum Album ist dieses Buch eine gelungene Würdigung der eigenen Arbeit und ein grundlegendes Dokument der Wertigkeit und Relevanz von Musikangeboten für Kinder. Mag sein, dass es inzwischen noch talentiertere Kindermusikbands gibt, doch formvollendeter Perfektionismus entspräche wohl auch nicht dem Selbstbild von Randale. Diese Band muss längst niemandem mehr etwas beweisen. Was sie so außergewöhnlich macht, lässt sich sprachlich nur schwer erfassen, dafür umso besser live erleben. Genug also der vielen Worte. Schnappt euch eure Kinder, geht zum Konzert und hört’s euch an. Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren Randale!


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Erschienen bei


Newtone/Cargo Records

Veröffentlicht


2024

Bewertung der Redaktion: 4/5


Künstler*in



Bandfoto "Randale"

Randale

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