27.01.2023


Johannes Stankowski: „Flaschenpost“



Mit Haltung und Stil



Fast sah es so aus, als hätte Johannes Stankowski der Kindermusik den Rücken zugekehrt. Rund vier Jahre liegt die Veröffentlichung seines letzten Kindermusikalbums „Tausend schöne Dinge“ bereits zurück, sein vier Platten umfassender Jahreszeiten-Zyklus war mit dieser Produktion praktisch abgeschlossen. Zudem hat sich Stankowski als Gío inzwischen einer musikalischen Mixtur aus Italo-Pop und Soft-Rock und damit einer eindeutig erwachsenen Hörerschaft zugewendet. Das Ergebnis dieses stilistisch überraschenden Ausflugs hat er auf dem bemerkenswerten Album „Mirrors & Smoke“ festgehalten. Nun aber dürfen alle großen und kleinen Fans seiner Kinderlieder erleichtert aufatmen: Umgezogen zum Traditionslabel Karussell und eingebettet in ein Artwork, das plötzlich sehr psychodelisch und so gar nicht mehr reformpädagogisch anmutet, präsentiert der Kölner Musiker auf „Flaschenpost“ zehn Songs, die Bewährtes mit neuen Ideen und Ansätzen verknüpfen.

Musikalisch wie inhaltlich fühlte sich Johannes Stankowski mit seinen Kinderliedern von Beginn an einem von viel Nostalgie geprägten Stil verpflichtet. Die Beatles und Paul Simon, aber auch Konstantin Wecker oder den Liedermacher Klaus der Geiger benennt er als musikalische Inspirationsquellen – und natürlich schimmert deren Einfluss auch auf seinem nunmehr fünften Kindermusikalbum immer wieder dezent durch. Neu hingegen ist, dass Stankowski in seinen Texten die Widersprüchlichkeiten des Lebens nicht mehr konsequent ausblendet und zugleich auch Eltern als Hörer*innen deutlicher anspricht. Beides gelingt ihm, ohne dass seine Songs dabei an der bewährten Leichtigkeit, Spielfreude oder Musikalität einbüßen würden. Wenn etwa in „Der Vagabund“ Obdachlose, Punks und Hippies gemeinsam ein italienisches Chanson anstimmen, dann entsteht als Umkehrung aus den oft bemühten Ressentiments gegenüber diesen Personengruppen eine kollektive Hymne auf das einfache und gute Leben. „All diese Tiere“ hat Ähnliches im Sinn, indem es die Kinder mit in den Zoo nimmt und sich vor dieser Kulisse als ein eindringliches Plädoyer für Freiheit und Selbstbestimmung entpuppt. (»All diese Tiere, ob groß oder klein / die haben doch ´ne Seele, warum sperren wir sie dann ein?«)

In einem Lied wie „Hinter meiner Stirn“ kommt dagegen deutlich Stankowskis erwachsene Perspektive zum Vorschein – es dürfte schließlich nur wenige Kinder geben, die bereits ihre eigene Vergesslichkeit beklagen. (»Ich bin so vergesslich, komm gar nicht mehr klar / irgendwann vergess‘ ich noch wie mein Name war.«) Ein so sympathisches Eingeständnis erwachsener Unvollkommenheit dürfte aber auch Kindern Freude bereiten. Ob sie allerdings auch so weit gehen würden, Wanderungen als „Die beste Therapie“ zu bezeichnen? Schließlich schärft sich der Sinn für Naturromantik in aller Regel erst in fortgeschrittenem Alter. Die Lust auf Abenteuer in den Bergen weckt der leichtfüßig vorgetragene Song aber allemal. (»Wenn ich wandern kann, dann hüpft mein Herz und ruft „Hurra“ / den Hang entlang, das find ich wunderbar.«) „Lieb wen du liebst“ könnte mithörenden Erziehungsberechtigten bereits aus der Serie „Andere Eltern“ bekannt sein. Darin war Stankowski seinerzeit in einer Nebenrolle zu sehen und steuerte zudem ebenjenes Lied bei, das in der Kostümierung eines Schlagers Diversität und freie Liebe feiert. (»Nicht jeder Hase sucht ne Häsin, nicht jede Frau will einen Mann / und mancher kleine Kater würd auch gern mal an ´ne große Katze dran.«) Im Vergleich dazu kommen Songs wie „Raus in die Natur“ und „Meister der Magie“ ziemlich unaufgeregt daher, docken dafür aber umso deutlicher an das phantasievolle Potential von Kindern an.

Vor allem aber ist die musikalische DNA der Platte hervorzuheben, die sich zu etwa gleichen Teilen aus einem unverkennbaren Retro-Faible und gekonntem Songwriter-Handwerk zusammensetzt. „Reibekuchen“ ist ein schönes Beispiel für dieses besondere Symbiose. Vordergründig wird hier die Lieblingsspeise eines Kindes besungen. (»Wären wir die Regierung gäb’s das Ganze nicht in klein / denn riesengroß und knusprig müssen Reibekuchen sein.«) Stilistisch würdigt das Lied aber zugleich die Stummfilmmusik der 1920er-Jahre. Wie in fast allen Songs stehen auch hier Klavier und Gitarre klar im Vordergrund. Spärlich, aber umso zielgerichteter werden sie mit Background-Chören, Synthesizern oder Bläsern angereichert und nehmen dabei immer wieder kleine harmonische Wendungen, die das Zuhören zur Freude machen. Diese insgesamt recht eigensinnige Klangästhetik dürfte auch auf die Zusammenarbeit mit dem Kindermusiker Dominik Merscheid zurückzuführen sein, „dem wohl einfallsreichsten und gewitztesten Sidekick, den man sich überhaupt nur wünschen kann“, wie Stankowski anerkennend über seinen nicht weniger traditionell veranlagten Kollegen schreibt. Folgerichtig haben die beiden Musiker ihrer harmonischen Kooperation mit „Super Ideen“ auch gleich ein musikalisches Denkmal gesetzt. Dass das Album mit so viel Vergangenheitsbezug natürlich auch als Vinyl erhältlich ist, dürfte am Ende eigentlich niemanden mehr überraschen.

Fazit: Eine Flaschenpost wirft man für gewöhnlich ins Meer, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wer sie erhält und die darin enthaltene Botschaft zu lesen bekommt. Ähnlich ergebnisoffen ist auch dieses Album angelegt. Es folgt weniger einem klaren Konzept, sondern gibt sich ganz der Lust am Musizieren hin. Mit dieser Herangehensweise öffnet Johannes Stankowski, ähnlich wie im Titelsong „Flaschenpost“ zu hören, für sich selbst wie für seine Hörer*innen weite und vor allem neue Horizonte. (»Was wird der Brief wohl auf der Reise alles sehen, im großen weiten Ozean / wenn Wind und Wellen ihn ins Unbekannte wehen, durch kleine und große Gefahren?«) Nach vier Kindermusikalben, auf denen er sich thematisch größtenteils an Frühling, Sommer, Herbst und Winter abgearbeitet hat, gleicht dieses Werk einem künstlerischen Befreiungsschlag, von dem alle profitieren. Spätestens jetzt kann sich auch Johannes Stankowski das Etikett „Familienmusik“ ans Rever heften. Im Gegensatz zu manch anderen Kindermusiker*innen trägt er es allerdings mit Haltung und Stil – im Wissen darum, dass sich seine Kinderlieder nur wenig um aktuelle Hörgewohnheiten scheren. Eben deshalb sind sie auch so zeitlos schön!


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Erschienen bei


Karussell/Universal Music Family Entertainment

Veröffentlicht


2023

Bewertung der Redaktion: 5/5


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