25.10.2024
„Giraffenaffen 9 - Weltreise“
Das Abenteuer Langeweile
Kinder, wie die Zeit vergeht... 12 Jahre ist es her, dass die erste Compilation der Giraffenaffen das Licht der Welt erblickte. Das Konzept damals war bestechend einfach, im Ergebnis aber durchaus überzeugend: Mehr oder weniger bekannte Popstars interpretierten mehr oder weniger traditionelle Kinderlieder neu. Vor 12 Jahren war diese Idee tatsächlich noch innovativ, denn der Kindermusikmarkt war zu dieser Zeit noch längst nicht so vielfältig, wie er es heute ist. Selbst das beste Idee nutzt sich aber ab, wenn es nur fortlaufend reproduziert wird. Nach acht vorangegangenen Compilations scheint der Vorrat an Kinderliedern, die einen frischen Anstrich vertragen könnten, nun endgültig erschöpft zu sein. Deshalb wartet die neunte Produktion der Reihe mit einem neuen Konzept auf.
Erstmals präsentieren sich die Giraffenaffen in Form eines musikalischen Hörspiels. Die Handlung ist schnell erzählt: Die drei Freund*innen Bo, Nalu und Taki unternehmen gemeinsam eine Weltreise, um sich die Langeweile vom Leib zu halten. Im Zentrum der Erzählung steht also das aus vielen Kindergeschichten gut vertraute Narrativ eines aufregenden Abenteuers. Besonders fantasievoll ist das nicht – auch wenn uns der erste begleitende Song „Fantasie“ (feat. Elif) vom Gegenteil überzeugen möchte. Ähnlich verbraucht wirkt der Einfall, Bo, Nalu und Taki mit dem FluFaBeam durch Raum und Zeit sausen zu lassen. Da könnten Kinder ebenso gut das Original von Robbietobbi und seinem Fliewatüüt hören. Auch Humor darf in der Geschichte natürlich nicht zu kurz kommen. Besonders lustig wird es immer dann, wenn das FluFaBeam zum Start ansetzt. Dann nämlich macht es ein aufdringliches Furzgeräusch. Wie kann man in einem Kinderhörspiel nur so viele abgehalfterte Ideen unterbringen?
Nach erfolgreichem Start geht es dann in Lichtgeschwindigkeit kreuz und quer über den Planeten. Von der Savanne auf eine Südseeinsel, von dort in die Stadt, dann auf den Mount Everest und später noch zu einer Pizzeria in Neapel. An den einzelnen Stationen wartet das reiselustige Trio mit allerlei spannenden Erkenntnissen für seine jungen Hörer*innen auf – natürlich kindgerecht erzählt. Ein exemplarischer Dialog-Auszug: „Eine Stadt ist ein Ort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenwohnen. Die größten Städte der Welt haben fast 40 Millionen Einwohner!“ – „Boah, das sind ja ungefähr genau mehr Menschen, als auf der Welt wohnen. Fast bestimmt...“ So klingt es, wenn der Versuch einer Begegnung mit Kindern auf Augenhöhe misslingt.
Zum Glück bleibt uns wenigstens noch die Musik. Coverversionen bekannter Kinderlieder sucht man auf Giraffenaffen 9 allerdings vergeblich. Alle Songs in diesem Musikhörspiel sind mehr oder weniger neu und folgen stoisch der Rahmenhandlung – und wenn die schon hölzern ist, wie sollen dann erst die Lieder geraten sein? „Fühlst du die Musik“ (feat. Céline) und „Robo-Party“ vertreiben die Langeweile mit Tanzen. „Faul wie ein Faultier“ empfiehlt Chillen als wirksames Gegenmittel. „So wie du bist“ (feat. MoTrip & Lary) beschwört melancholisch die eigenen Stärken, „Superpower“ versucht dasselbe zu treibenden Techno-Beats. Und am „Schummeltag“ pausieren alle Bemühungen um gesunde Ernährung, denn gegessen wird nur, was Kindern schmeckt. Die uninspirierte Willkürlichkeit der Geschichte setzt sich nahtlos in den einzelnen Liedern fort. Daran ändern auch die Gaststars, die für die Umsetzung der musikalischen Parts dieser Produktion verpflichtet wurden, wenig.
Der wohl bekannteste von ihnen ist Tim Bendzko. Wenn der sich in „Du wolltest doch die Welt retten“ selbst covert, ist ein Tiefpunkt des Hörspiels erreicht. (»Wir müssen echt die Welt retten, ich weiß es kann passieren / jetzt ist Schluss mit all den Mails checken, wir sollten’s wenigstens probieren, statt weiter Zeit zu verlieren.«) Im Pressetext wird dem Sänger bescheinigt, Menschen jeden Alters mit eingängigen Melodien und klaren, direkten Botschaften zum Nachdenken und Handeln bewegen zu können. Doch kann man Kindern noch plumper Haltung vorgaukeln? Und welchen Bezug sollen sie eigentlich zum inzwischen 13 Jahre alten Originaltitel herstellen können? Die gleiche Frage stellt sich bei „Lieblingsgäng“, einem Cover von Naimas „Lieblingsmensch“ aus dem Jahr 2015. Als prominente Zugpferde wurden die Partymucker SDP zusammen mit DIKKA vor den Karren gespannt. Gemeinsam covern sie den SDP-Hit „Wenn ich groß bin“. »Wenn ich einmal groß bin, werde ich ein Banker / dann hab ich ganz viel Geld und das könnt ihr dann geschenkt haben« rappen sie fröhlich miteinander. Offenbar haben die Giraffenaffen während ihrer Weltreise komplett die Orientierung verloren und sich dabei weit von ihrer anvisierten Hörer*innenschaft entfernt.
Fazit: Zu Recht durften sich die Erfinder*innen der Giraffenaffen vor 12 Jahren damit brüsten, etwas für den deutschen Kindermusikmarkt komplett Neues geschaffen zu haben. In der nunmehr neunten Auflage hat die Reihe jedoch alle relevanten Alleinstellungsmerkmale eingebüßt. Es wäre wenig verwunderlich, wenn die Urheberschaft der Geschichte auf eine KI zurückginge, denn die Weltreise der Giraffenaffen bietet kaum mehr als eine zusammenhanglose Aneinanderreihung vermeintlich kindgerechter Plattitüden. Die Erzählung eines aufregenden Abenteuers als Gegenentwurf zu gähnender Langeweile, das Konzept einer Reise, Lieder über Mut, Freundschaft, Pizza und Musik – viel Neues hat diese Produktion wirklich nicht zu bieten. Zugleich ist der Humor dermaßen plump geraten, dass sich Kinder davon eher verschaukelt als gut unterhalten fühlen dürften. In der PR-Abteilung sieht man das natürlich anders: „Jede Station der Reise zeigt den jungen Zuhörer*innen eine neue Kultur, spannende Musik und wertvolle Lektionen über Freundschaft, die Wunder der Natur, Nachhaltigkeit und Selbstliebe“, heißt es im Pressetext. Das klingt überaus bedeutungsvoll, ist aber leider viel zu dick aufgetragen. Mit „Licht aus“ wird dem Rap-Newcomer 1986zig die Ehre zuteil, das Hörspiel mit einem Schlaflied (klar, womit auch sonst?) zu beenden. Bleibt zu hoffen, dass sich die Macher*innen dieser Produktion die Message des Songs zu Herzen nehmen und irgendwann auch den Giraffenaffen das Licht ausknipsen. Getreu dem Motto: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!