Albumcover Zukunftsmusik
23.08.2024


Johannes Stankowski: „Zukunftsmusik“



Die Zukunft ist jetzt



Nüchtern betrachtet ist meine Arbeit hier bei „Mama lauter!“ zum Scheitern verurteilt, denn qua Alter fehlt mir natürlich jeglicher leibhaftige Bezug zur Lebens- und Gefühlswelt von Kindern. Wie also soll ich wissen, welche Musik Kinder wirklich gerne mögen? Folgt man dieser Argumentation, dann stünden viele Kindermusiker*innen allerdings vor dem gleichen Problem. Es sei denn, sie machen es wie Johannes Stankowski und beziehen Kinder aktiv in ihre künstlerische Arbeit ein. „Zukunftsmusik“ heißt das neueste Album des Kölner Musikers, aus dem bereits seit zehn Jahren verlässlich Kinderlieder von besonderer Schönheit heraussprudeln. Für dieses Projekt hat er sich trotzdem Unterstützung geholt, und zwar aus 13 verschiedenen Kitas der Fröbel-Gruppe im Kölner Stadtgebiet. Fast ein halbes Jahr hat Stankowski mit Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren Instrumente gebastelt, musiziert und währenddessen auch Ideen für neue Kinderlieder entwickelt. Auf dem Konzeptpapier liest sich so ein partizipativer Ansatz auf jeden Fall gut, beim Zuhören erzeugt er aber erstmal Irritationen. Spätestens wenn der Refrain des Openers „Mein Körper ist ein Instrument“ erklingt, in dem die Kinder Wort für Wort lautstark mitsingen, werden sich viele Eltern an einen Sound erinnert fühlen, den Rolf Zuckowski und seine Freunde schon in den 80er-Jahren erfolgreich unters Volk gebracht haben. Das also soll Zukunftsmusik sein?

Lassen wir unsere eigenen musikalischen Prägungen mal außen vor und uns stattdessen vollkommen unvoreingenommen auf diese Platte ein. Was wir dann hören, sind 13 unaufdringliche, dafür aber umso sorgsamer ausarrangierte Kompositionen. Stankowski und seine Band glänzen auf dieser Platte wieder einmal als ein Ensemble mit Hang zu akustisch geprägtem Retro-Sound, das komplett auf musikalische Spielereien und ausschweifende Soli verzichtet. Auch mit seinem Gesang hält sich Stankowski diesmal deutlich zurück und stellt auf diese Weise die Kinderstimmen in den Mittelpunkt jedes einzelnen Lieds. Die wiederum sind so sorgsam in die Songs eingeflochten, dass sie professionell klingen, ohne dabei ihren kindlichen Charme einzubüßen. Innerhalb dieses musikalischen Gerüsts entsteht der Raum für die in Text gegossenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühle der Fröbelinos, wie die Schar der an diesem Projekt beteiligten Kinder verniedlichend getauft wurde.

Das thematische Spektrum der einzelnen Lieder fällt dabei durchaus vielfältig, wenn auch nicht immer überraschend aus. Ferien („Ferien“), Farben („Regenbogenkind“) und Lieblingsessen („Am liebsten ess’ ich Eis“) wurden im Kinderlied eigentlich schon ausreichend besungen, doch für jede neue Kindergeneration sind nunmal auch vermeintlich ausgetretene Pfade unbekannt und spannend. Mit dem „Lied für Oskar“ verschicken die Fröbelios einen musikalischen Genesungswunsch an einen gemeinsamen Freund, der sich mit gebrochenem Bein zu Hause langweilen muss. Und „Kita ohne Strom“ bündelt die Erlebnisse einer Kita-Gruppe, die für ein paar Tage auf die Annehmlichkeiten elektronischer Geräte verzichtet hat. Dem gegenüber stehen Lieder wie „Superkräfte“ oder „Wir reisen durch die Zeit“, die eher fantasievollen Ideen einen Platz einräumen. Spätestens wenn in „Fratello & Selaya“ die Liebesgeschichte zwischen einem Drachen und einer Seejungfrau erzählt, oder in „Affenpups mit Apfelmus“ gegen sittliches Benehmen und übertriebe Hygiene rebelliert wird, ist die Beteiligung von Kindern an diesem Album deutlich hörbar. Mit „Auf der Deutzer Kirmes“ machen Johannes Stankowski und die Fröbelinos schließlich auch noch ihrer Heimatstadt ein musikalisches Geschenk. Der Song ist von einer lokalpatriotischen Selbstverliebtheit geprägt, die man in Köln sonst nur von Bands wie den Bläck Fööss, Höhner oder Brings kennt. Mit dieser leicht verklärten Hymne füllt das kreative Kollektiv eine offensichtliche Leerstelle in der rheinländischen Musikkultur.

Fazit: Kinder sind die Zukunft! Dieser Satz kommt uns als Erwachsenen ziemlich oft, doch meist leider viel zu unüberlegt über die Lippen. Im Subtext verschleiert diese triviale Erkenntnis nämlich die Verantwortung für das Kindeswohl im Hier und Jetzt – die Zukunft kann schließlich noch sehr weit weg sein. „Zukunftsmusik“ wendet sich dagegen konsequent Kindern im Kindsein zu. Und zwar mit all der Professionalität und Sorgfalt, die man in eine Musikproduktion für Kinder stecken kann und stecken sollte. Die ironiefreien Texte greifen die Ideen und Gedanken der an diesem Projekt beteiligten Kinder unmittelbar auf. Drumherum erzeugt Johannes Stankowski mit seiner Band eine fröhliche, dem Leben zugewandte Stimmung, die von einem wohlig-warmen Sound durchzogen ist, der gar nicht erst versucht, sich mit moderner Klangästhetik messen zu wollen. Ja, die aus diesen Zutaten entstehende Nähe zu den Frühwerken von Rolf Zuckowski kann auf den ersten Höreindruck ewig gestrig und damit wenig futuristisch wirken. Vielleicht unterstreicht sie aber auch einfach nur die musikalische Qualität des noch immer omnipräsenten Vorreiters und damit die Nachhaltigkeit gut gemachter Kindermusik? Von Erwachsenen werden Kinderstimmen im Kinderlied gerne voreilig abgestraft, aber Kinder fühlen sich durch Kinder nunmal auf Augenhöhe angesprochen. Fidibus und Wir Kinder vom Kleistpark sind zwei Musikprojekte aus der jüngeren Vergangenheit, die auf ähnlich hohem Niveau einen vergleichbaren konzeptionellen Ansatz verfolgt haben. Ein Update war längst überfällig. Mit spürbarer Leidenschaft und großer Authentizität hat sich Johannes Stankowski dieser Aufgabe angenommen und präsentiert mit „Zukunftsmusik“ Kindermusik im besten Wortsinn. Wenn die Zukunft auch nur ansatzweise so harmonisch sein wird, wie dieses Album klingt, dann trägt es seinen Namen auf jeden Fall zu Recht.

Erschienen bei


Karussell/Universal Music Family Entertainment

Veröffentlicht


2024

Bewertung der Redaktion: 5/5


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